Einige sehr selektive, subjektive Eindrücke von der NTA8 in Karlsruhe
Unter dem Thema „Gesellschaftliche Transformationen: Gegenstand oder Aufgabe der Technikfolgenabschätzung“ versammelten sich am 7. und 8.11.2018 etwa 150 WissenschaftlerInnen im Südwerk im Karlsruhe zur achten wissenschaftlichen Tagung des Netzwerks Technikfolgenabschätzung, der NTA8.
Dieses Mal hatte das Karlsruher Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) die Organisation der Tagung übernommen und diese Aufgabe mit Bravour erfüllt. Unterstützt wurde das ISI dabei (mit finanziellen oder sonstigen Beiträgen) durch einige der institutionellen Mitglieder des NTA, nämlich durch die EA European Academy in Bad Neuenahr-Ahrweiler, das Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien, das Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) in Berlin, das Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des Karlsruher Instituts für Technologie sowie die Schweizer TA-Swiss Stiftung für Technologiefolgen-Abschätzung.
Das Netzwerk lebt! Es ist durchaus eine zu würdigende Leistung, dass diese doch sehr diverse und relativ kleine TA-Community in den D-A-CH-Ländern seit nunmehr 14 Jahren in der Lage ist, alle zwei Jahre eine anspruchsvolle wissenschaftliche Konferenz aus eigener Kraft auf die Beine zu stellen.
Wie sich die TA zur (großen) Transformation der Gesellschaft stellt, war also die Frage.
Ein wesentlicher Anstoß zu dieser teils sehr kontroversen Debatte über die Rolle der Wissenschaft in einer sich wandelnden und Gesellschaft kam 2011 vom Hauptgutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen WBGU „Welt im Wandel: Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“. Fokussiert auf „Reallabore“ hatte die Zeitschrift TATuP in ihrer Ausgabe 3/2016 das Thema aufgegriffen. Und in einer Sonderausgabe der Gaia 2018 „Labs in the Real World – Advancing Transdisciplinarity and Transformations“ wurde diese Debatte ausgeweitet und fortgesetzt.
Doch sowohl für die TA im Besonderen als auch die Wissenschaft im Allgemeinen ist die Frage nach der „eingreifenden“, „transformativen“ Rolle ein Langzeitthema, das bestimmten Konjunkturen folgt und letztlich immer neu diskutiert, aber nie endgültig gelöst werden wird.
So gab es etwa in den 1980er Jahren ein mit gut 100 Mio. DM groß angelegtes Förderprogramm „Mensch und Technik - Sozialverträgliche Technikgestaltung“ der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, wie NTA-Mitglied Georg Simonis von der Fernuniversität Hagen auf der NTA8 bemerkte. „Sozialverträgliche Technikgestaltung“ wurde damals als Gegenentwurf zur „Experten-TA“ verstanden, die als „Folgenlose Folgenforschung“ (Langenheder) kritisiert wurde. Oder man denke noch etwas weiter zurück an die Konjunktur der „Aktionsforschung“ in den 1970er Jahren, ganz der Marxschen 11. Feuerbachthese folgend „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt drauf an, sie zu verändern.“
Der Auftakt zur Tagung am Mittwoch, 7.11. war mit der Keynote von Oliver Parodi gut gewählt. Oliver Parodi ist der Vater des Karlsruher Reallabors „Quartier Zukunft – Labor Stadt“. Er gehört in Deutschland, vielleicht sogar international, zu den erfahrensten und reflektiertesten Wissenschaftlern auf dem Feld der transformativen Forschung. Ihm ging es in seinem Vortrag um eine Klärung des Verhältnisses von TA und Transformation, in die ein überraschender Exkurs auf Luhmanns Technikverständis als „effektive Isolierung“ eingeflochten war. Interessant wäre zu diskutieren, ob die „große Transformation“ wirklich nur als „Gegentechnik“ verstanden werden kann und TA eine „Selbstverpflichtung“ als transformative Wissenschaft benötigt. Vielleicht ist auch Parodis Verständnis von TA als Dienerin der Technikentwicklung zu eng, denn es gibt durchaus ein gängiges und vertretbares TA-Verständnis, das Techniken für TA-Studien zum Ausgangspunkt nimmt, die orientierende Fragestellung aber problemorientiert verstanden wird. Das impliziert dann, dass immer auch nicht-technische Handlungsoptionen in das „Assessment“ mit einbezogen werden. Leider konnte Parodis Beitrag im Plenum nicht umfangreicher diskutiert werden, da die Begrüßungszeremonie zeitlich deutlich überzogen wurde, aber war nach meinem Eindruck auf der Tagung immer wieder ein Gesprächsthema in Kaffeepausen oder den folgenden Sitzungen.
Wolfgang Liebert (Universität für Bodenkultur, Wien) verwendete den Begriff der sozio-technischen Transformation, die er mit einer erheblichen Eingriffstiefe in gesellschaftliche Verhältnisse verband, während Armin Grunwald (KIT-ITAS) in seinem Versuch den „honest broker“ (klassisches TA-Verständnis) und den „issue advocat“ („engagiert, eingreifende Wissenschaft“) zu versöhnen, den Transformationsbegriff deutlich allgemeiner ansetzte. Natürlich führt schon die Themensetzung für eine TA-Studie zu einer transformativen Wirkung, möchte man ihm zustimmen, aber ist diese Aussage nicht so allgemein wie der berühmte Sack Reis, der in China umfällt, und die Welt zum Tanzen bringen könnte.
Alexander Bogner (ITA Wien) verteidigte den Anspruch der TA, überlegenes, wissenschaftliches Wissen zu erzeugen, ohne in eine simple Expertengläubigkeit der frühen Jahre zurückzufallen. Er sprach der TA entweder eine Beobachter- oder Gestalterrolle im gesellschaftlichen Transformation zu. Daraus ist ein "Sowohl-als-auch“ heraus zu hören. Dieses verwickelte Expertenverständnis gälte es eigens und weiterführend zu diskutieren.
„Sowohl-als-auch“ erscheint mir durchaus eine nachvollziehbare Position in diesen alten und immer wieder neu zu führenden Debatten über das Selbstverständnis von TA. Entscheidend ist vielleicht nicht, ob „die“ TA oder einzelner ihrer Vertreter gerade in die eine oder in die andere Richtung tendieren, das hängt von Vielem, auch von gesellschaftlichen und ideologischen Großwetterlagen (auf die nicht nur Karsten Weber hinwies) ab, sonder ob das in Kenntnis dieser Debatten reflektiert und nicht naiv geschieht.
Zum Programmende am Mittwochs fand eine Podiumsdiskussion statt. Diese war erstaunlich interessant, was nicht nur daran lag, dass zwei ganz unterschiedliche gesellschaftliche Akteure als potenzielle oder tatsächliche Nachfrager für TA auf dem Podium saßen. Das waren zum einen der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und TA, Ernst Dieter Rossmann, MdB, und zum anderen Philipp Ellett, zuständig für Klimaschutzpolitik beim Verband der Automobilindustrie (VDA). Dass sich aus diesen unterschiedlichen Perspektiven Funken schlagen ließ, war absehbar. So sprach Rossmann von Bürgern, während Ellett den Kunden in den Blick nahm. Rossmann zeigte sich als ausgesprochen reflektierter und erfahrener Beobachter, nein Akteur einer parlamentarischen TA-Praxis, die im Bundestag mit dem TAB ja nun auch schon 28 Jahre währt. Er gab nicht nur den Tipp an die versammelte TA-Community, sich bei der nächsten Ausschreibung für das TAB mit innovativen Vorschlägen zu bewerben. Da habe ITAS bisher doch immer zu stark das Bewerberfeld dominiert. Er plädierte auch dafür, dass sich das TAB und die gesamte TA-Szene nicht allein auf den Bundestag bzw. den jeweiligen (politischen) Auftraggeber fokussieren dürfe, sondern weit darüber hinaus in Wissenschaft und Gesellschaft wirken müsse, um (transformative) Wirkung – auch in der Politik – zu erzielen.
Soweit diese sehr subjektiven und selektiven Eindrücke von ersten Tag der NTA8. Am Donnerstag konnte ich leider nicht mehr dabei sein.
Sie, liebe Leserin oder Leser, können über einen Kommentar zu diesem Beitrag oder durch einen eigenen Blogbeitrag die Sichtweisen auf die NTA8 gerne ergänzen oder meinen Einschätzungen widersprechen. NTA-Mitglieder können den Blog generell für eigene TA-relevante Beiträge nutzen. Bei Fragen hierzu wenden Sie sich an info@openTA.net.
Visuelle Impressionen von der Konferenz findet man unter https://www.nta8.de/nta8-konferenz/content/bilder.php
Zu guter Letzt: Wie man hört, findet die NTA9 2020 in Wien statt.
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