Es scheint noch keine größeren Wellen geschlagen zu haben: Eine Gutachterkommission im Auftrag des Präsidiums der Universität Hamburg hat bereits im Spätsommer des letzten Jahres empfohlen, den ?Forschungsschwerpunkt Biotechnik, Gesellschaft und Umwelt? (kurz: FSP BIOGUM) aufzulösen. Die beiden damit wegfallenden Professuren, die Volker Beusmann im Bereich Landwirtschaft und Pflanzenzüchtung (seit 1993) und Regine Kollek im Bereich Medizin und Neurowissenschaften (seit 1995) innehatten, sollen ausgeglichen werden durch zwei neue Professuren ?Ethik der Naturwissenschaften? im Fachbereich Informatik und ?Ethik der Geisteswissenschaften? im Fachbereich Philosophie. Hierdurch soll das Kompetenzzentrum Nachhaltige Universität (KNU) gestärkt werden. Die besondere Aufgabenstellung und Ausrichtung von BIOGUM ? interdisziplinäre Technikfolgenabschätzung und Technikbewertung in Forschung und Lehre ? werde damit weitergeführt. All dies lässt sich der Antwort des Senats der Hansestadt Hamburg auf die schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Eva Gümbel (GRÜNE) vom 11. November 2014 auf Drucksache 20/13516 entnehmen, die erst kurz vor Ostern bekannt geworden ist.
Mit der Auflösung dieses thematisch fokussierten TA-Schwerpunkts geht dauerhaft eine universitäre Einrichtung verloren, die durch besondere Nähe zur Praxis der politikberatenden TA geprägt war und dadurch fast schon eine Alleinstellung in der "grünen" und der "roten" Gentechnik (Agrogentechnik und medizinische Gentechnik) erlangt hatte. Besonders sichtbar wurde das durch die über zehnjährige Mitgliedschaft von Regine Kollek zunächst im Nationalen, dann im Deutschen Ethikrat. Aber auch Volker Beusmann und sein Team gehörten zu den ganz wenigen akademischen Arbeitsgruppen, die seit über zwei Jahrzehnten umfassendes politikrelevantes TA-Wissen im Bereich der Pflanzenzucht und Agrogentechnik erarbeitet haben, z.B. immer wieder für das Umweltbundesamt. Der FSP BIOGUM stellte ein zwar kleines (etwa 12 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter), aber ganz besonderes Kompetenzzentrum für TA im Bereich der Bio- und Gentechnologie dar, das z.B. auch für das TAB immer wieder Ansprech-, Austausch- und Kooperationspartner für diesen nach wie vor besonders umstrittenen Technologiebereich war.
Die Schließung ist umso unverständlicher, da mit der "Nationalen Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) von 2010 ein Strukturwandel von einer erdöl- zu einer bio-basierten Wirtschaft erreicht werden soll, wobei in der Biotechnologie ein zentraler Impulsgeber gesehen wird. Mittlerweile gibt es vom BMBF ein "Konzept zur Förderung sozial- und wirtschaftswissenschaftlicher Forschung für die Bioökonomie", das zum Ziel hat, sozioökonomische Forschungsfragen als Teil einer umfassenden bioökonomischen Forschung zu etablieren, mit der natur- und technikwissenschaftlichen Forschung zu verzahnen und für den Transformationsprozess hin zu einer nachhaltigen bio-basierten Wirtschaftsweise zu nutzen. Denn in der Tat wirft die Bioökonomie vielfältige kritische Fragen auf, von der Ressourcenbasis (Sind ausreichend Anbauflächen und Biomassen für eine nachhaltige Versorgung vorhanden?) über technologische Chancen (Sind mit Biotechnologie die versprochenen Effizienz- und Produktionssteigerungen zu erreichen?) bis hin zu den sozialen Konsequenzen (Werden Kleinbauern, die im globalen Maßstab die überwältigende Mehrheit der Landwirte stellen, profitieren oder verdrängt?). Zu diesen und anderen anstehenden Fragen hätte BIOGUM sehr viel Kompetenz und Erfahrung einbringen können. Mit der Bioökonomie sind interdisziplinäre Fragestellungen der Technikfolgenabschätzung zur Biotechnologie und angrenzenden Problemfeldern nicht erledigt, sondern eher mehr geworden.
Regine Kollek und Volker Beusmann ? sowie nahezu zeitgleich ihre langjährigen Wegbegleiter Günter Feuerstein und Stephan Albrecht ? werden sowieso in Kürze in den Ruhestand gehen oder sind bereits altersbedingt ausgeschieden. Außerdem wurde BIOGUM 1985 als sogenannte senatsunmittelbare Einrichtung an der Universität Hamburg, basierend auf einem Beschluss der Bürgerschaft, gegründet, aber die Novellierung des Hamburgischen Hochschulgesetzes hat im Jahr 2005 die senatsunmittelbaren Einrichtungen abgeschafft. Damit ist sowohl organisatorisch als auch personell eine Umstrukturierung notwendig. Dies wäre auch bei Wahrung der Kontinuität in interdisziplinärer TA denkbar gewesen, zumal der alte Auftrag der Bürgerschaft immer noch aktuell ist.
Was die beiden neuen Lehrstuhlinhaber in den Fächer "Ethik der Naturwissenschaften" und "Ethik der Geisteswissenschaften" in Zukunft leisten können und werden, wollen und können wir nicht beurteilen. Die neuen Lehrstühle haben allerdings wenig mit einer Fortsetzung interdisziplinärer Technikfolgenabschätzung zu tun und sind auf jeden Fall weit weg von den anstehenden Aufgabenstellungen im Bereich Biotechnologie und Bioökonomie.
Schließlich steht die Entscheidung für ein Zurückfallen in disziplinäre Zuordnungen, trotz aller Bekenntnisse zur Interdisziplinarität. Die Einbindung der zwei neuen Professuren in das Kompetenzzentrum Nachhaltige Universität (KNU) hilft da auch nicht weiter: Zum einen liegt ein Schwerpunkt stark auf nachhaltiger Governance der Hochschule und Lehre, zum anderen weisen die vom KNU bisher im Rahmen einer "Anschubfinanzierung" geförderten Projekte eine stark fachwissenschaftliche Orientierung auf, wie sie für Dissertationen und ähnliche Vorhaben typisch und notwendig sind. Dies alles ersetzt keine interdisziplinäre Forschungsgruppe mit thematischem Fokus auf der Gentechnologie. Die Auflösung von BIOGUM zerstört eine langjährig erarbeitete, allseits anerkannte und spezifische Kompetenz interdisziplinärer Forschung. Das ist sehr bedauerlich!
Arnold Sauter, Rolf Meyer und Leo Hennen
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