Im Zuge des 2017 anstehenden Relaunch der Zeitschrift TATuP wird hier für die Einführung eines geregelten Peer Review plädiert, der nicht anonym und nicht öffentlich erfolgt sowie vor der Veröffentlichung stattfindet.
Zu den Merkmalen eines etablierten, wissenschaftlichen Fachgebiets werden u.a. ein abgegrenzter Untersuchungsgegenstand, eine wissenschaftliche Methodik, universitäre Lehrstühle und Institute sowie die Herausbildung eigener wissenschaftlicher Zeitschriften gezählt. Technikfolgenabschätzung (TA) ? es soll hier offen bleiben, ob es sich bei TA um eine eigene Wissenschaftsdisziplin handelt, ? erfüllt einige dieser Merkmale.
TA-Zeitschriften
Über 12 Jahre, von 2001 bis 2012, gab es die Zeitschrift ?Poiesis & Praxis ? International Journal of Ethics of Science and Technology Assessment?. Sie wurde von der EA European Academy in Zusammenarbeit mit dem Springer-Verlag herausgegeben. Die Artikel in P&P wurden begutachtet. Insgesamt erschienen in den 12 Jahren ihres Erscheinens 27 Hefte mit insgesamt 201 Artikeln. P&P wurde allerdings 2012 eingestellt.
Seit 25 Jahren besteht die Zeitschrift ?Technikfolgenabschätzung ? Theorie und Praxis? (TATuP). Sie ist nach der Einstellung von Poiesis & Praxis ? jedenfalls im deutschsprachigen Raum ? die einzige verbliebene wissenschaftliche Zeitschrift, die noch TA in ihrem Titel führt. TATuP wird vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) herausgegeben und enthält neben wissenschaftlichen Artikeln, die sowohl in Deutsch als auch in Englisch erscheinen, auch Nachrichten, Rezensionen, Projekt- und Tagungsberichte sowie ein Diskussionsforum. TATuP ist gedruckt wie online frei zugänglich.
Im Folgenden interessiert das derzeitige und zukünftige Begutachtungsverfahren von TATuP, ein zentrales Element wissenschaftlicher Publizistik. Ich stelle hierzu einige Überlegungen zur Diskussion und in den Kontext der internationalen Peer Review Week, die in dieser Woche in diesem Jahr zum zweiten Mal stattfindet und zum Ziel hat, die wichtige Rolle von Begutachtungsverfahren in der Wissenschaft hervorzuheben.
Das Qualitätssicherungsverfahren, das TATuP bisher anwendet, ist zweigeteilt. Für die Artikel des jeweiligen Schwerpunktthemas eines Heftes erfolgt die inhaltliche Betreuung durch die jeweiligen Schwerpunktherausgeber und die Redaktion. Alle weiteren Rubriken des Heftes werden von der Redaktion betreut, die ad hoc von KollegInnen zusätzlichen fachlichen Rat einholt. Es gibt aber kein formalisiertes ?peer review?, wie es für viele wissenschaftliche Zeitschriften der Standard, und für die Aufnahme in den wichtigen Nachweisdatenbanken (etwa Scopus oder Web of Science) eine Voraussetzung ist.
Innerhalb vom ITAS und im Umfeld der Zeitschrift TATuP wurde die Frage, ob nicht ein Peer Review eingeführt werden sollte, über viele Jahre immer wieder kontrovers diskutiert.
Warum Peer Review?
Für ein Peer Review-Verfahren wird insbesondere das Argument vorgebracht, dass nur dann der Artikel für individuelle Karrieren (etwa in einem Bewerbungsverfahren) und bei institutionellen Evaluationen zählt. ?Begutachtete Artikel? seien nun mal die ?Goldwährung? für wissenschaftliche ?Exzellenz?. Gegen die Einführung eines Begutachtungsverfahrens bei der TATuP wurden u.a. pragmatische Argument angeführt: Der Aufwand für das Management der Begutachtung steigere die eh schon hohen Aufwendungen, die das ITAS aus eigenen Mitteln für die Herausgabe von TATuP aufbringe, weiter. Außerdem würden unweigerlich die zeitlichen Abläufe verlängert und damit auch die Flexibilität, insbesondere bei der Realisierung der Schwerpunktthemen, eingeschränkt.
Über Pro und Contra des Peer Reviews gibt es eine ausufernde Diskussion, die hier nur angedeutet werden kann. Peer Review garantiere nicht die wissenschaftliche Qualität von Artikeln, wie viele Fälschungsskandale der letzten Jahre gezeigt habe, wird z.B. vorgebracht. Aber, ließe sich dagegen einwenden, verhindert kein Peer Review diese negativen Ausreißer in einem ansonsten gut funktionierenden Publikationsmilieu. Peer Review mache die Publikationsprozesse zu langsam, befördere eher Zitationskartelle und geben den meist anonymen Gutachtern zu viel Macht sind weitere Contra-Argumente. Auf der anderen Seite zeigen viele Befragungen von Wissenschaftlern, dass sie bei der Auswahl oder Beurteilung einer Zeitschrift als Publikationsplattform für einen eigenen Artikel besonderen Wert auf einen sorgfältig durchgeführten Begutachtungsprozess legen. Die Akzeptanz des Peer Review unter Wissenschaftlern ist hoch.
Die neue TATuP 2017
Bei TATuP steht im nächsten Jahr ein Relaunch an. Mit dem Relaunch soll auch ein geregelter Peer Review eingeführt werden. Das ist in der Redaktion bereits Konsens. Aber welche Art des Peer Review?
Es gibt eine solche Vielzahl von Varianten, dass diese hier nicht einzeln vorgestellt und diskutiert werden können. Ich beschränke mich auf drei zentrale Dimensionen des Verfahrens: Wann wird die Begutachtung durchgeführt? Findet sie anonym statt? Und welche Teile des Verfahrens sind öffentlich?
Pre- oder Post-Review?
Der bisherige Normalfall ist die Begutachtung vor der Veröffentlichung. Im Zuge aktueller Varianten des ?open peer review? kommt auch eine nachträgliche Begutachtung in die Diskussion.
Das Verfahren sähe etwa so aus: Das Autorenmanuskript wird auf einem Web-Server ? evtl. nach einem minimalen Check durch eine Redaktion ? veröffentlicht und damit zur Begutachtung freigeben. Ob man nun auf freiwillige Gutachter einfach wartet oder gezielt Gutachter akquiriert sei dahin gestellt. Offen kann an dieser Stelle auch bleiben, ob diese Post-Gutachten veröffentlicht werden oder nur der Redaktion und/oder den AutorInnen zugänglich sind. Autor oder Autorin könnten auf Basis der irgendwann vorliegenden Gutachten den Artikel überarbeiten und in einer neuen Version veröffentlichen. Eine Ablehnung eines Manuskriptes, das dann nicht zur Veröffentlichung führt, gäbe es nicht. Man kann in einem solchen Post-Peer-Review mindestens zwei wichtige Vorteile sehen:
1. Der Autor kann selbst über den Zeitpunkt der Erstveröffentlichung entscheiden und ist nicht auf einen für ihn kaum steuer- und kalkulierbaren Pre-Review-Prozess angewiesen. Das ist für diejenigen Wissenschaftsgebiete vielleicht ein besonders wichtiges Argument, bei denen es auf einen möglichst frühen Zeitpunkt der Publikation ankommt. Für TA scheint mir das in der Regel nicht der Fall zu sein.
2. Während es bei der Publikation vorgelagerter Begutachtungsverfahren durchaus mehr oder weniger häufig vorkommt, dass das eingereichte Manuskript inhaltlich wie formal in einem nicht besonders guten Zustand ist, da die Autoren mit weiteren Überarbeitungsschritten rechnen, könnte ein Post-Review-Verfahren dazu beitragen, dass die Autorin oder der Autor mehr Sorgfalt bereits in die Erstellung der ersten veröffentlichten Version des Manuskriptes legt. Dies wäre für Redaktionen, Gutachter und Leser ein gewisser Vorteil.
Generell überzeugen mich diese Vorteile aber nicht und ein Post-Review passt auch schlecht für eine gedruckte und online als Heft publizierte Zeitschrift, sondern eher für fachliche Repositorien oder ?PrePrint-Archive?, wie etwa arXiv.org oder das Social Science Research Network. Es erscheint mir auch nicht besonders attraktiv mehrere Versionen eines thematisch einschlägigen Artikels lesen zu müssen, wenn Redaktionen, Herausgeber und Gutachter als ?Vorleser? zu einem geprüften und konsolidierten Text vor der Veröffentlichung beitragen können. Schließlich ist die Hoffnung auf die sich freiwillig findenden Gutachter eines schon publizierten Manuskriptes in vielen Fällen trügerisch. Aus Erfahrung weiß man, dass Repliken oder Leserbriefe zu publizierten Artikeln immer wieder vorkommen, aber doch sehr selten sind.
Anonym oder Nichtanonym?
?Double blind peer review? gilt in vielen Diskussionen um Begutachtungsverfahren als die beste Variante. Es bedeutet, dass der Gutachter nicht weiß, wer die Autoren eines Manuskriptes sind und die Autoren nicht wissen, wer die Gutachter sind. Als Vorteile werden insbesondere angeführt, dass die Beurteilung nur auf Basis des Textes und nicht unter Berücksichtigung einer möglichen freundschaftlichen oder auch konkurrierenden persönlichen Beziehung erfolge. Auch die Gutachter seien in ihrem Urteil freier, wenn die Autoren ihre Namen nicht kennen, da es ja durchaus Abhängigkeiten eines Gutachters von einem Autor geben könne. Die große Frage ist, ob diese hergestellte Anonymität der Beteiligten im Verfahren nicht in vielen Fällen eine Fiktion ist, da insbesondere in kleinen Wissenschaftsgemeinschaften, wie die TA eine ist, die Forschungsthemen von Kollegen in der Regel bekannt sind oder leicht über eine Googlesuche herausgefunden werden können.
Wissenschaft lebt von der kollegialen, offenen Kritik. Diese findet auf Kongressen, Workshops und Kolloquien statt oder auch in Rezensionen und Publikationen. Warum sollte diese personal zuordenbare Kiritk nicht auch im Begutachtungsprozess funktionieren?
So erscheint ein Verfahren, in dem die AutorInnen wissen, wer ihre GutachterInnen sind, und die GutachterInnen wissen, wer die AutorInnen sind, als eine prüfenswerte Alternative. Dieser ?non blind peer review? ist vielleicht dann besonders attraktiv, wenn es im Begutachtungsverfahren nicht um das Erzielen möglichst hoher Ablehnungsraten geht, sondern um das gemeinsame, kollegiale Bemühen um einen inhaltlich wie formal besseren Text. Da scheint mir auch für TATuP einen Versuch wert.
Im Übrigen stellen die Kriterien von Scopus, Web of Science u.a. nicht auf eine bestimmte Form des peer review, etwa double blind, ab, sondern ?nur? auf ein geregeltes, transparentes peer review-Verfahren überhaupt.
Öffentlich oder nicht öffentlich?
Schließlich und abschließend zur Frage, ob das Begutachtungsverfahren öffentlich sein soll. Das würde insbesondere bedeuten, dass die gutachterlichen Äußerungen und die eventuellen Rückäußerungen der Autoren für jeden nachlesbar wären. In Zeiten des Internet ist es ja ein Leichtes, alle möglichen Dokumente zu verlinken und öffentlich zu machen. Ein solches Verfahren wird Open Peer Review genannt, das wiederum in unterschiedlichen Varianten vorkommt. Allerdings, obwohl in vielen progressiv-programmatischen Äußerungen als der neue Königsweg gepriesen, gibt es nach meinem Eindruck nur wenige erfolgreiche und überzeugende Beispiele hierfür.
Auch hier gilt es wieder prinzipielle und pragmatische Argumente abzuwägen. Die Erstellung eines veröffentlichungsreifen Gutachtentextes setzt deutlich höhere (zeitliche) Anforderungen an den oder die Gutachter als ein nur intern verhandeltes Gutachten. Das öffentliche Gutachten bekäme den Charakter einer Rezension. Und die große Frage wäre dann, wie viele potentielle Gutachter unter diesen Umständen noch bereit wären, gutachterlich tätig zu werden.
Der nicht anonyme, aber nicht öffentliche Gutachtensprozess kann im besten Fall eine kollegiale Vertraulichkeit herstellen, die dem Prozess der Kritik dienlich sein kann, weil gegenüber dem Partner im Verfahren manches offener formuliert werden kann als dies vielleicht in der Öffentlichkeit gemacht würde. Auch dieses könnte dem Produkt, dem guten wissenschaftlichen Artikel, zugutekommen.
Nicht jedes Verfahren passt auf jeden Kontext. Die TA-Community und TATuP sind in gewisser Weise besonders. So war nicht zu erwarten, dass das Abklopfen einiger Argumente für oder gegen bestimmte Verfahren der Begutachtung wissenschaftlicher Artikel ein eindeutiges Ergebnis bringen könne. Man muss sich also entscheiden und man muss es ausprobieren. Mir scheint ein geregeltes, transparentes, nicht anonymes und nicht öffentliches Begutachtungsverfahren vor der Veröffentlichung ein sinnvoller und auch pragmatisch machbarer Weg für eine ?neue? TATuP zu sein.
Ihre Meinung hierzu würde mich und die TATuP-Redaktion interessieren. Schreiben Sie hier im openTA-Blog einen Kommentar oder direkt an Redaktion@tatup-journal.de und diskutieren Sie mit der TATuP-Redaktion und den NTA-KollegInnen auf der NTA7 in Bonn am Freitag, 18.11.2016, 13:30 zum Thema ?Die neue TA TuP in NTA und openTA? .





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